In Jaynes Artikel „Menschen mit Behinderungen: Die richtige Wortwahl im Englischen“ haben wir aktuelle Konventionen zu Texten für oder über Menschen mit Behinderung in der englischen Sprache erläutert. Im Deutschen hat sich im Laufe der Jahre die Wortwahl ebenfalls verändert.
Rechtlicher Hintergrund
Laut UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) hat jeder Mensch das Recht, an der Gesellschaft teilzuhaben, also das Recht auf Inklusion. Sprachlich bedeutet dies, dass Formulierungen zu bevorzugen sind, die nicht ausgrenzen. Das Konzept der Inklusion betont, dass jeder Mensch Teil der Gesellschaft ist und automatisch dazu gehört, so wie er oder sie ist. Diese Sichtweise geht über frühere Ansätze der Integration in die Mehrheitsgesellschaft hinaus.
Konzepte
Beim Schreiben für oder über Menschen mit Behinderungen ist die Selbstdefinition zu beachten: Empfindet sich jemand als „Mensch mit Behinderung“ oder steht die Identifikation mit einer bestimmten Gruppierung im Mittelpunkt? Diese beiden Konzepte werden in dem Artikel „Menschen mit Behinderungen: Die richtige Wortwahl im Englischen“ näher erläutert.
Die nachfolgende Tabelle ist daher nicht als allgemeingültig zu betrachten, sondern als Denkanstoß. Fragen Sie im Zweifelsfall stets die Betroffenen selbst, wie über sie berichtet werden sollte. Die Aufzählungen sind als Alternativen zu verstehen, nicht als Empfehlung, welche Wortwahl zu bevorzugen ist. Vielen Dank, Sarah Riehle, für das sorgfältige Lektorat bei diesem sensiblen Thema.
Empfehlenswert | Nicht empfehlenswert |
Mensch(en) / Frauen / Männer / Kinder
1. mit Behinderung 2. mit Handicap 3. mit (körperlicher / psychosozialer / kognitiver) Beeinträchtigung 4. mit besonderen Bedürfnissen |
Behinderte/r
(Achtung: „behindert“ gilt in der Jugendsprache auch als Schimpfwort) |
Mensch(en) ohne Behinderung | normale Menschen; gesunde Menschen |
Person mit einer körperlichen Behinderung | Invalide |
Körperliche Behinderung | Invalidität |
barrierefrei; barrierearm | behindertengerecht, behindertenfreundlich |
Jemand hat eine bestimmte Krankheit | Jemand leidet an / ist Opfer von |
Jemand hat Schizophrenie | Jemand ist schizophren |
Mensch mit Schizophrenie | Schizophrene(r) |
1. psychisch beeinträchtigt
2. Person mit einer psychischen Störung, z.B. mit einer Depression |
psychisch gestört, geisteskrank |
Psychiatrie-Erfahrene (Plural) | psychiatrische Patienten |
1. Mensch(en) / Frauen / Männer / Kinder
mit intellektueller Einschränkung 2. Person mit kognitiver Beeinträchtigung 3. Person mit kognitiven Einschränkungen 4. Person mit Lernschwierigkeiten |
geistig Behindert(e) |
1. hörbeeinträchtigt
2. schwerhörig 3. Mensch mit Hörschädigung / mit eingeschränktem Hörvermögen |
Hörgeschädigt |
1. gehörlos
2. ertaubt |
taub, taubstumm |
Mensch mit komplexer Behinderung / mit Mehrfachbehinderung | Mehrfachbehinderte(r) |
1. Mensch mit schwerer Behinderung
2. Mensch mit Mobilitätseinschränkung |
Schwerbehinderte(r) |
1. rheumakranke Menschen
2. rheumabetroffene Menschen 3. Menschen mit Rheuma |
Rheumatiker(in) |
Person mit Minderwuchs, kleiner Mensch | Zwerg, Zwergwuchs, zwergwüchsig |
Mensch mit (angeborener / erworbener) Cerebralparese | Spastiker(in) [als Selbstbezeichnung akzeptabel] |
Mensch mit Spina bifida und / oder Hydrocephalus | Spifi, Hydro, Wasserkopf |
Handicap oder Beeinträchtigung?
Der Sprachgebrauch im Deutschen unterscheidet sich von dem im Englischen. Im Deutschen ist der Ausdruck „jemand hat ein Handicap“ akzeptabel: Es ist ein konkret benannter Nachteil, der durch bestimmte Maßnahmen (wie Hilfsmittel oder finanzielle oder personelle Hilfen) ausgeglichen werden sollte, damit die Person ansonsten ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen kann.
Im englischen Sprachraum gilt „handicap“ laut Aussage von Professor Paul Brians von der Washington State University hingegen als unangemessen. Englischsprachige Menschen mit Behinderungen und ihre Helfer wehren sich dagegen mit dem Argument, dass jemand nur so lange „gehandicapt“ sei, wie seine Behinderung nicht durch entsprechende Maßnahmen ausgeglichen ist. Die Konnotation von „handicapped“ im Englischen entspricht damit etwa der von „behindert“ im Deutschen.
Deutsche Quellen zum Vertiefen
Aufgrund der Vielzahl an Behinderungen und der unterschiedlichen Ansätze, mit der persönlichen Einschränkung umzugehen, ist eine differenzierte Auseinandersetzung erforderlich, die auch die Selbsteinschätzung der jeweiligen Community berücksichtigt. Nachfolgend sind einige hilfreiche deutschsprachige Quellen aufgeführt.
Die Aktion Mensch ist eine deutsche Soziallotterie zur Förderung von Inklusionsprojekten. Auf der Seite der Aktion Mensch werden Projekte und Themen vorgestellt und Kampagnen angestoßen, und es gibt Informationsmaterial zum Download.
Auf der Seite leidmedien.de werden Journalisten konkrete Hinweise und Leitfäden zum Schreiben über Behinderungen und Menschen mit Behinderung an die Hand gegeben. Dort ist auch eine Tabelle mit Denkanstößen zu Formulierungen hinterlegt.
Ein umfassendes deutsches Wörterbuch ist das „Buch der Begriffe. Sprache, Behinderung, Integration“ von Beate Firlinger (Integration Österreich) aus dem Jahr 2003 (nur noch gebraucht erhältlich). Als PDF kann man es beispielsweise über die Seite inklusiv-wohnen.de herunterladen.
Bei der Einarbeitung in den politischen Sprachgebrauch helfen Dokumente der BRK-Allianz (Berichte, Leitlinien), die teilweise auf Englisch und Deutsch bereitgestellt werden. Die BRK-Allianz bietet auch Linklisten für Deutschland und Österreich sowie internationale Links.
Bei spezifischen Behinderungen halten die Selbsthilfeorganisationen der jeweiligen Gruppierungen wertvolle Informationen bereit. Ein Beispiel ist der DVBS (Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e.V.), dessen Selbstdarstellung in der Infothek auf Englisch und Deutsch heruntergeladen werden kann.
Die Übersicht über die Mitgliedsverbände beim Deutschen Behindertenrat (dbr) hilft beim Suchen nach speziellen Gruppierungen.
Hinweise zur barrierefreien Planung von Veranstaltungen gibt die zweisprachige Website Ramp-up.me (Deutsch/Englisch).
Wie eine junge Frau im Rollstuhl ihren Alltag erlebt, vermittelt seit 2009 Jules Blog.
Von Imke Brodersen, Übersetzerin (English und Spanisch nach Deutsch) in den Bereichen Medizin, Urkunden und Literatur. Mich interessiert, was Sie über diesen Artikel denken. Hinterlassen Sie einen Kommentar oder lassen Sie uns auf Twitter diskutieren.
Mit diesem Artikel leiten wir auf Translation Clinic zu einem neuen Blogkonzept über – getreu unserem experimentellen Ansatz. In Zukunft erscheinen Texte nicht mehr parallel in Deutsch und Englisch, sondern wir wollen uns hier über aktuelle Themen aus Medizin und Gesundheitswesen austauschen – natürlich mit Fokus auf sprachliche Entwicklungen. Jayne schreibt auf Englisch, Imke auf Deutsch, aber die Texte werden nicht mehr 1:1 sein. Bleiben Sie uns treu und lassen Sie sich überraschen!