Wenn zwei Übersetzerinnen parallel in zwei Sprachen bloggen, sind damit besondere Herausforderungen verbunden. Nach einem Jahr Translation Clinic berichten wir, was bei diesem spannenden Experiment hinter den Kulissen abläuft.
Für Übersetzer, die täglich Texte von fremden Autoren übertragen, hat Bloggen einen besonderen Reiz: Man schreibt zu einem selbst gewählten Thema, schult die eigene Ausdrucksfähigkeit und überlegt unablässig, was die eigenen Leser wohl gerade am meisten interessiert.
Mit unserem Blog Translation Clinic wollten wir auf Deutsch und Englisch ausloten, worauf es beim Übersetzen und eigenen Artikeln zu medizinischen Themen ankommt. Dabei haben wir eine ganze Menge über bilinguales Bloggen, das Präsentieren eigener Inhalte und Teamarbeit gelernt.
Bloggen im Team: Die Partnersuche
Zum Bloggen in zwei Sprachen gehören bei unserem Ansatz zwei Partner. Doch wie findet man das passende Gegenüber? Das Wichtigste ist aus unserer Sicht das gegenseitige Vertrauen. Wenn man sich – wie Jayne und ich – noch nie persönlich begegnet ist, kann dieses Vertrauen durch unterschiedliche Bausteine wachsen, zum Beispiel Fachwissen, Sprachkompetenz, Empfehlungen von Kollegen, gemeinsam abgewickelte Projekte oder die vorhandenen Blogs des anderen.
„Das Wichtigste ist das gegenseitige Vertrauen.“
Eine wichtige Voraussetzung war für uns auch, dass wir beide schon länger eigenständig bloggen. Nur so kann man ermessen, wie viel Arbeit hinter jedem Artikel steckt: Idee, Schreiben, Kürzen, Korrektur, Umschreiben, Bildersuche, technische Umsetzung, Veröffentlichen, Teilen und vieles mehr. Zudem hat man selbst schon einen Eindruck, wie man sein Publikum erreicht.
Zu Beginn steht die Einigung auf Grundthema und Zielgruppen. Skype-Meetings und Cloud-Plattformen für die Arbeit an den ersten Texten und Bildern sind in diesem Stadium eine große Hilfe. Für die technische und grafische Umsetzung empfiehlt sich ein professioneller neutraler Anbieter – wenn einer der Blogger die Umsetzung selbst übernimmt, entsteht leicht eine ungute Abhängigkeit des technisch weniger versierten Partners.
Bloggen in zwei Sprachen: Wie funktioniert das?
Ursprünglich wollten wir abwechselnd Artikel schreiben, die dann jeweils von der anderen übersetzt werden. Von dieser Idee sind wir schon im ersten Jahr abgewichen. Der Hauptgrund waren Themen, zu denen wir zeitnah hilfreiche Informationen veröffentlichen wollten, darunter die Hinweise auf mehrsprachige Gesundheitsinformationen und unsere Glossarserie zu vektorübertragenen Krankheiten. Damit wollten wir uns sowieso beschäftigen – der Auftakt mit Zika war der Aktualität geschuldet.
„Niemand fragt so gründlich nach wie ein Übersetzer!“
Meist ist eine von uns von einem Thema elektrisiert und zieht die andere mit. Die ersten Entwürfe kommen dann mit diversen Kommentaren und Fragen zurück. Die veröffentlichte Endfassung ist das Ergebnis einer mehrfachen Überarbeitung auf beiden Seiten – niemand fragt so gründlich nach wie ein Übersetzer!
Die übersetzerische Freiheit ist dabei relativ groß. Die parallel erscheinenden Artikel werden gezielt auf die deutschsprachige und die englischsprachige Leserschaft zugeschnitten, und die eingebetteten Links passen wir entsprechend an. Die Auswahl des passenden Bilds sorgt regelmäßig für Diskussionen, weil wir dabei kulturell bedingte Assoziationen berücksichtigen.
Bloggen in der Medizin: Liegt die „Wahrheit“ in der Mitte?
Was im deutschsprachigen Raum als Stand der Wissenschaft gilt, kann international ganz anders eingestuft sein. Deshalb überlegen wir regelmäßig, welche Informationen wir als Blogger überhaupt weitergeben sollten – das reicht von Krankheitsbildern (wie bei Grippe und grippalem Infekt) über Symptome (bei welcher Körpertemperatur beginnt „Fieber“?) bis hin zu Diagnose- und Therapieoptionen, die sich je nach Kultur und Sprachraum erheblich unterscheiden können (wo liegt der Unterschied zwischen „chronischer Borreliose“ und dem „Post-Lyme-Syndrom“?).
„Diagnose- und Therapieoptionen können sich je nach Kultur und Sprachraum erheblich unterscheiden.“
Der Weg zum Konsens war mitunter unerwartet schwierig. Das gemeinsame Bloggen trägt unbedingt zu einem besseren Verständnis für unterschiedliche Sichtweisen und für die Gesundheitssysteme in deutsch- und englischsprachigen Ländern bei. Die von uns verlinkten Quellen kommen nicht immer zum gleichen Ergebnis, vermitteln aber einen seriösen Einblick in aktuelle Standards im jeweiligen Sprachraum. Übersetzer können unmöglich alles wissen, aber wir müssen unsere Quellen sorgfältig bewerten und Terminologie zielstrebig recherchieren können.
Ein Jahr Translation Clinic: Resümee
Aus meiner Sicht ist Translation Clinic der ursprünglichen Idee gerecht geworden: Hier experimentieren Jayne und ich mit den Möglichkeiten, die zweisprachiges Team-Blogging für Medizinübersetzer bietet. Unser Blog wirft nicht nur ein Schlaglicht auf die verschiedenen Themen, mit denen sich Medizinübersetzer auseinandersetzen, sondern dient zugleich der professionellen Weiterentwicklung.
Vier Augen sehen mehr als zwei – das Vier-Augen-Prinzip, das Übersetzer als Qualitätsstufe zu schätzen wissen, ist auch beim Bloggen Gold wert. Die Rückfragen des Partners fördern eine saubere Strukturierung und eine präzise Ausdrucksweise, die auf unsere Leser zugeschnitten ist und den Anforderungen des Internets entspricht.
An dieser Stelle möchten wir unseren Lesern danken, deren Rückmeldungen wir sehr aufmerksam lesen. Wir haben noch viele Themen, die wir gemeinsam ausloten möchten, und Ihr Interesse spornt uns an.
Von Imke Brodersen, Übersetzerin (English und Spanisch ins Deutsche) in den Bereichen Medizin, Urkunden und Literatur, mit Feinschliff von Jayne Fox, Übersetzerin (aus dem Deutschen ins Englische) und Texterin im Bereich Medizin. Mich interessiert, was Sie über diesen Artikel denken. Hinterlassen Sie einen Kommentar oder lassen Sie uns auf Twitter diskutieren.