Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, haben oft eine lange, anstrengende Reise hinter sich. Manche haben sich verletzt oder wurden misshandelt, und unter schwierigen hygienischen Bedingungen können sich unter den psychisch und körperlich erschöpften Menschen auch Krankheiten leichter ausbreiten.
Rechtlicher Hintergrund für anerkannte Flüchtlinge
Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 sollte ursprünglich Flüchtlinge schützen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in ganz Europa gestrandet waren. Im Januar 1967 wurde sie um das „Protokoll über die Rechtsstellung von Flüchtlingen“ erweitert. Laut Artikel 24 gewähren die Vertragsstaaten „Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Gebiet aufhalten,“ bei Krankheit dieselbe Gesundheitsversorgung wie den eigenen Staatsangehörigen.
Gemäß dem deutschen Aufenthaltsgesetz von 2005 (§ 60 Abs.1 AufenthG) kann heute auch eine fortgeschrittene Bürgerkriegssituation ein Aufenthaltsrecht begründen.
Ab dem Zeitpunkt der Anerkennung als Flüchtling sollte der Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung gewährleistet sein.
Rechtsgrundlage für Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge
So lange eine Person als „Asylbewerber“ oder „geduldet“ eingestuft wird, bekommt er laut Asylbewerberleistungsgesetz (§ 4 AsylbLG) nur eine Grundversorgung für akute Erkrankungen und Schmerzzustände. Dies gilt selbst für Kinder und Jugendliche. Werdende Mütter und Wöchnerinnen werden umfassend betreut wie jede andere Mutter auch. Schutzimpfungen sowie die ärztliche und zahnärztliche Versorgung werden durch die örtlichen Behörden sichergestellt.
In der Praxis wird diese Regelung von engagierten Ärzten, den kassenärztlichen Vereinigungen und der Bundesärztekammer immer wieder kritisiert, weil die Versorgung von chronisch Kranken zum Beispiel mit Diabetes oder Herzkrankheit, Trauma, Seh- und Hörschwäche und orthopädischen Problemen bei restriktiver Auslegung damit erst nach der Klärung des Aufenthaltsstatus‘ möglich ist – dahinter steckt die Befürchtung, Menschen aus ärmeren Ländern würden womöglich nur deshalb Asyl beantragen, um in der Genuss einer kostenlosen Gesundheitsversorgung zu kommen.
Studie von 2015: Eingeschränkte Versorgung ist langfristig teurer
Dr. Kayvan Bozormehr, Heidelberg, und Prof. Dr. Oliver Razum, Bielefeld, haben hierzu Gesundheitsdaten aus den Jahren 1994 bis 2013 ausgewertet. Ihre Studie wurde im Juli 2015 bei PLoS ONE veröffentlicht (DOI: 10.1371/journal.pone.0131483),
Den Daten zufolge hat diese restriktive Praxis sich nicht bewährt, sondern im Gegenteil die Gesundheitskosten für Asylbewerber und Flüchtlinge in die Höhe getrieben (mehr dazu auf Deutsch bei MIGAZIN).
Neue Versorgungsmodelle
2013 hat die EU eine neue EU-Richtlinie verabschiedet, die Deutschland nun umsetzen muss. Laut Artikel 19 sollen Antragsteller „die erforderliche medizinische Versorgung erhalten“, das heißt, „zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten und schweren psychischen Störungen“. Antragsteller mit besonderen Bedürfnissen bei der Aufnahme sollen erhalten die nötige medizinische und eventuell auch psychologische Hilfe. Als schutzbedürftig in diesem Sinne gelten beispielsweise Minderjährige, Schwangere, Alleinerziehende, Menschen mit Behinderung oder schweren Krankheiten, ältere Menschen oder Menschen, die massive Gewalt (wie Folter und Vergewaltigung) erlitten haben (Artikel 21).
Aktuell bekommen Flüchtlinge in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg sowie (seit 1. September 2015) auch in Nordrhein-Westfalen eine elektronische Gesundheitskarte und damit direkten Zugang zur Gesundheitsversorgung. Andere Bundesländer prüfen die Umsetzung noch. Bis dahin muss ein Flüchtling zuerst bei der zuständigen Behörde (Sozialamt, Gesundheitsamt oder Erstaufnahmeeinrichtung) einen „Behandlungsschein“ beantragen. Diese Regelung ist sehr umstritten.
Die kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg hat eine Vereinbarung mit dem Regierungspräsidium Karlsruhe (Merkblätter der KVBW, Stichwort Asylbewerber) getroffen: Der Arzt oder die Ärztin darf hier bei Asylbewerbern ohne Versichertenkarte gegebenenfalls auch chronische Krankheitsverläufe als „akut“ einstufen, zum Facharzt überweisen und Vorsorgeuntersuchungen für Kinder sowie die von der STIKO empfohlenen Schutzimpfungen für Kinder und Erwachsene durchführen. Die Voraussetzung ist jedoch – außer in Notfällen – ein Behandlungsschein von der zuständigen Behörde.
Ein Rechtsanspruch auf medizinisches Dolmetschen besteht in Deutschland bisher nicht und kann aktuell daher oft nur ehrenamtlich von Helfern erbracht werden. Man kann jedoch auf den Seiten der kassenärztlichen Vereinigungen (hier beispielhaft die Arztsuche für Baden-Württemberg) gezielt nach Ärzten mit der gewünschten Sprache suchen.
Medizinisches Glossar:
Bundesärztekammer (BÄK): Die Bundesärztekammer ist die Spitzenorganisation und das politische Sprachrohr der 17 deutschen Ärztekammern (siehe Landesärztekammer), in denen die Ärzte ihre Berufsausübung selbst organisieren.
Elektronische Gesundheitskarte (eGK): offizielle Bezeichnung für die deutsche Krankenversichertenkarte; mit Lichtbild (= Foto).
Gesetzliche Krankenversicherung (GKV): Die gesetzliche Krankenversicherung („Krankenkasse“) ist Teil des deutschen Sozialversicherungssystems und für weite Teile der Bevölkerung eine Pflichtversicherung. Ihre Leistungen sind gesetzlich geregelt.
Kassenärztliche Vereinigung (KV): Ein Arzt oder Psychotherapeut, der seine ambulanten Behandlungen mit den gesetzlichen Krankenversicherungen abrechnen will, muss sich im Arztregister die kassenärztlichen Vereinigung seines Bundeslandes registrieren lassen.
Landesärztekammer (LÄK): Jeder approbierte Arzt in Deutschland ist Pflichtmitglied der Ärztekammer des Bundeslandes, in dem er als Arzt tätig ist.
Ständige Impfkommission (STIKO): Die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts (RKI) gibt mit ihrem jährlichen Impfkalender regelmäßig Impfempfehlungen für verschiedene Personengruppen in Deutschland heraus. Eine allgemeine Impfpflicht besteht in Deutschland aktuell nicht (Stand 09/2015).
Versichertenkarte: offizielle deutschsprachige Bezeichnung für die Schweizer Krankenversichertenkarte; gilt in Deutschland als Synonym für „elektronische Gesundheitskarte“